Der rote Bereich

Dienstag, 30. August 2005

Take Five, Helge!



helge

… die große 5, die ganz große. Glückwunsch, Helge!
Ich schüttel heut mein Haar für dich und spiel den ganzen Tag “Take five”. Yeah!

PS: Das Bild habe ich von deiner Hom-Page geklaut. Da stand “Runterladen” drüber. Viel lieber hätte ich allerdings das Bild runtergeladen, auf dem du ein Eis isst. Da stand aber nix drüber, nur Home daneben. Getraut hab ich mich darum nicht. Egal. Man kann nicht alles haben oder so. Schönen Tag noch!

Noch ein Pssst: Zwischendrin leg ich dann doch mal was anderes auf: Charly Antolini: "drum beat".

Mittwoch, 3. August 2005

return to: Sender

returnto


Ich bekomme sehr gern Post, persönliche Post. Je häufiger eine E-Mail einen Anruf, eine Karte oder gar einen Brief ersetzt, desto mehr schätze ich diese analogen Dinge. Ich freu mich über greifbare Post, einen Umschlag, dessen umgeknickte Ecken auf eine lange Reise oder einen unordentlichen Postboten, der mal wieder versuchte, einen A4-Umschlag meinem A5-Kasten gefügig zu machen, schließen lassen. Schätze es, wenn ein Mensch sich einen Stift und ein paar Minuten Zeit genommen hat, um mir zu schreiben, und sei es auch nur, um einen Umschlag zu beschriften und dort irgendetwas hinein zu tun, das für mich bestimmt ist. Ein Foto vielleicht oder eine Tüte Lollies, wie die, die mir meine Freundin letzte Woche schickte, einfach so oder weil wir einander nur noch ein, zwei, drei Mal im Jahr sehen, nicht mehr so oft Lollies lutschen und Laster teilen und mitteilen können.
Letzte Woche bekam ich außer den Lollies noch eine weitere kleine Wundertüte zugeschickt. Eine Wundertüte mit einem hübschen Gruß aus meiner alten Heimat und zwei CDs eines Freundes*, die mir einen kleinen Einblick in seine Musik erlauben.
Im ersten Augenblick frage ich mich, ob ich diese Musik frei von Vor-Urteilen hören kann, schließlich hatten wir uns schon viel über Musik ausgetauscht, wenngleich der Austausch bisher eher darin bestand, dass ich plapperte, plapperte, schwärmte, schimpfte, schwärmte (ich danke jedem Menschen für seine Geduld, pauschal, im Voraus, mir zuzuhören, wenn ich über Musik rede, auch Ihnen, Herr. O, diesmal ist's im Nachhinein). Die Vor-Urteile, die ich befürchtete, würden darin bestehen, einfach gut finden zu müssen, was ich da hören würde, weil man sich kennt, dass ich hören würde durch den Filter der Verbundenheit vielleicht. Ich verwerfe den Gedanken gleich wieder, meine Ohren haben mich noch nie betrogen.
Die ersten Takte des Projekts Sender, da: ein Fender Rhodes – gewonnen Herr O.! Damit hatten mich die Herren Wesseltoft, Cary, Tenor und ach so viele andere sofort in der Tasche. Ein paar Takte später: Ich zucke für einen Moment zusammen, als ein Saxophon einsetzt. Mit dem Saxophon halte ich es wie mit Gesang: Leider selten gut, meist haperts daran, dass zu viele Klischees bedient werden. Das Saxophon drängt sich oft in den Vordergrund und tut so, als wäre es der Jazz persönlich, niemand sonst. Und Gesang, ach, fast möchte ich sagen: Wer nicht mit einer Stimme wie der von Frau Fitzgerald, Frau Callas, Herrn Gardel, Herrn Cura gesegnet ist (freilich, da gibt es noch viele andere), sollte einfach nur still sein. Fiese Liedzeilen, in denen fiepsige Bikini-Damen „Sunshine kiss my day till my love …“ oder „wisdom, wisdom is the truth“ wispern, tun ihr übriges. Beliebig, austauschbar ist solcher Gesang, bewegend allenfalls, direkt den Ausschalter zu betätigen.
Pardon, wo war ich? Mein Zucken ob des einsetzenden Saxophons: Das war nur ein klitzekleines Zucken, das Saxophon in dieser Runde ist ein wundervolles! Eines, das sich zurück halten, sich unterordnen kann und immer wieder dann in den Vordergrund tritt, bescheiden doch überzeugend, wenn das Keyboard mal wieder irgendwo eine hübsche Melodie hat fallen lassen, sie aufnimmt um sie fort zu tragen. Fein.
Immer wieder ist es der sehr entspannte Beat, der mich in ein Stück gleiten lässt und gerade, wenn sich an meiner Hirnrinde der Gedanke „… und jetzt: gebt Gas!“ formen will, waren sie, die Jungs, mal wieder schneller, drehen und wenden das Thema, peitschen die Beats hoch, lässt die Bassline meine Hände zucken.
Beim Austausch mit Herrn O. darüber, was wie gefällt, erfahre ich, dass ich da eine erste Rohfassung bekommen habe. Uuuh, ich hätte mich, hätte ich die Platte im Laden gekauft, lediglich über manch klitzekleinen Dialog zwischen den Musikern gewundert und nach den Worten „Live-Aufnahme“ im Booklet gesucht. Das mag gegen meine Ohren oder für Herrn O. sprechen. Wie auch immer, seit einer Woche gilt für meinen CD-Spieler: „return to: Sender“.

* Freund, wann verwende ich das Wort Freund? Verwende ich je das Wort Bekannter? Ich bezeichne wohl alle Menschen, denen ich mich verbunden fühle, wodurch auch immer, als Freunde. Verbundenheit respektive in meinem Sinne Freundschaft mag lediglich darin bestehen, dass man Interessen teilt, und nur darüber einander verbunden ist, in Verbindung bleibt. Das Wort kann gleichwohl für eine langjährige Freundschaft stehen, Freundschaft, die in tiefem Vertrauen gründet, Vertrauen, das jede Distanz, sei es Raum oder Zeit oder beides, überwindet und ansatzlos immer dort beginnt, wo man irgendwann irgendwo den Faden abreißen ließ oder abreißen lassen musste.)



PS: Nicht unerwähnt bleiben soll die zweite CD der Wundertüte. Schöne Interpretation bekannter Stücke mit zweimal Gitarre und einmal Bass. Aber das ist ein anderes Thema …

Freitag, 22. Juli 2005

may the forss be with you!



forss


Die meisten meiner Platten entdecke ich zufällig: ich höre irgendein Stück, irgendein Instrument darin gefällt mir ausnehmend gut, ich schaue nach dem entsprechenden Namen und gucke, was er (oder sie) sonst noch so macht. Und dann kaufe ich.
Zweiter Weg zu neuem Lauschgift: Ich kaufe nach Label, ohne Zögern beispielsweise immer (die Betonung liegt auf: ohne Zögern und immer) bei Ninja Tune, früher gerne Compost, heute stattdessen mehr sonar kollektiv, ansonsten viel ACT, Enja, Jazzland und Blue Note.
Vor kurzem via Label-Treue entdeckt forss: soulhack (sonar kollektiv). Einmal gehört, gestaunt. Wie macht der eigentlich Musik, der Kerl, der sich forss nennt und mit vollem Namen Eric Wahlforss heißt?
Oh! Ein Laptop, darauf jede Menge Musik, nix sonst. Hmm, Hirn natürlich, viel viel großes, gutes, klares, vertracktes, basswummerndes Hirn. Ein zweites Mal gehört und dabei vor Glück fast in den Rock gemacht den Mund nicht wieder zu gekriegt. Das soll eine Platte sein, die ausschließlich am Laptop entstanden ist, mit Ausnahme einiger Scratches? Unglaublich! Unglaublich gut!
Irgendwo im Netz, ich glaube, es war bei sonar, schnappe ich auf, dass Herr Wahlforss uns mit seiner Platte Soulhack auf eine musikalische Reise quer durch Europa mitnimmt.
Mir fällt da nur ein: „This is a journey into sound“. Ich hab jetzt immer 54:08 Minuten Gehacktes im Gepäck, wohin ich auch fahre, fliege, gehe. Thank you, Mister Wahlforss!

Dienstag, 19. Juli 2005

Sommer, Sonne, Stereo

sommermusik


Wie schaut es denn mit Ihrem Sommer-Soundtrack aus, Frau Blogistin? fragt Herr Jazz.

So schaut’s aus:
Etwas Altes: St. Germain – Tourist
Ludovic Navarre alias St. Germains Album Tourist ist seit dem Erscheinen vor fünf Jahren mein jeden-Sommer-wieder-Dauerbrenner. Endlos treibend das Stück „Rose Rouge“, das nur live noch mehr Kraft frei setzt (unvergesslich das Konzert im Juli 2001 in Stuttgart, bei dem ich die ersten Takte von Rose Rouge direkt neben Dave Brubeck samt Gattin stehend hörte. Herrn Brubecks „Take Five“ kreiste sicherlich beim Produzieren von „Rose Rouge“ auf Herrn Navarres Plattenteller). Das Vorgänger-Album Boulevard erschien genau fünf Jahre vor Tourist. Sprich: In diesem Jahr gibt’s hoffentlich Neues von St. Germain.

Zweimal etwas Neues: Patrice – Nile, Amon Tobin – Chaos Theory
Patrice – uuuh! Sein Album Nile lässt vom ersten bis zum letzten Ton nicht mehr los, überrascht mit jedem Stück ohne sich künstlich als vielfältig anzubiedern. Die Platte ist genial, uneingeschränkt. Mehr noch: Sie ist authentisch. Was bei den Electro-Musikern oftmals, selten zum Glück, als aufgesetztes anders und vor allem kompliziert sein wollen endet und bei den Pop-Prinzen und -Prinzesschen als am Fließband produzierter drei-Minuten-Einheitsbrei daherkommt, das gelingt Patrice mit jedem Ton, mit jeder Liedzeile, mit jedem Beat auf Nile: Seine Musik macht gute Laune. Kommentar meines Ex-Mannes, dessen Musikgeschmack weit abweicht von dem, was ich so höre: „Sehr geile Platte, die du mir da geschenkt hast!“ nein, dieses Geschenk war kein Versuch, die Ehe endgültig zum Scheitern zu bringen.
Amon Tobins neuestes Werk ist Filmmusik, Filmmusik zu Splinter Cell. Amon Tobin macht vor allem Schweres, Vertracktes, Waber- und Blubber-Bassiges, und mit „Chaos Theory“ wabert und blubbert es ganz besonders deftig aus den Lautsprechern. Dazu gibt’s diesmal ungewöhnlich viele hübsche Gitarren-Riffs, fein. Für mich die perfekte Platte für eine viel zu schwüle Sommernacht, in der sich die 33 Grad des Tages auf gerade mal 28 Grad herunter gekühlt haben, das Wort „lau“ mit „Lüge“ übersetzt werden muss und man sowieso nix „ausklingen lassen“ kann, weil an Schlaf nicht zu denken ist. Stattdessen lasse ich mich lieber von Amon Tobins vertonter Hektik noch mal richtig schön aufwühlen.

Etwas Geborgtes: Chillomat
Chillomat gibt’s leider nicht zu kaufen, es ist ein eineinhalb Stunden langer Downbeat- und Ambient-Mix eines Freundes mit so wunderschönen Stücken wie „All Things To All Men“ von The Cinematic Orchestra, Radioheads „Climbing Of The Walls“ im Fila Brazillia Remix, und vielen vielen Sachen, die leicht sind, ohne beliebig zu werden (Billy Holiday, Jimi Tenor, U.N.K.L.E, Nils Petter Molvaer, Biosphere, Burnt Friedman & Jaki Liebezeit … ).

Etwas Blaues: Miles Davis – Kind of Blue
Hatte ich eben irgendwelche anderen Platten als genial und Sommer, Sonne, Lässigkeit-kompatibel beschrieben? Zwei Takte „So What“ strafen mich Lügen. Kind of Blue ist Sommer, nichts anderes sonst. Kind of Blue ist, mit einem kalten Getränk auf der schattigen Veranda eines Hauses irgendwo in den Südstaaten zu sitzen und alle Kraft darauf zu verwenden, den Takt des Basses mit den Zehenspitzen auf den Dielenboden zu tippen, immer eine Nuance langsamer als Paul Chambers. Zur Not tut’s auch irgendein schlecht gelüftetes Büro mit viel viel unerledigter Arbeit, ein baufälliger Balkon mit Blick auf einen belebten Hinterhof in irgendeiner trägen Stadt oder ein offenes Auro auf einer endlosen Straße auf dem Weg von Irgendwo nach Nirgendwo …

Mittwoch, 13. Juli 2005

Dank u wel, Den Haag


platdujour


sheila_zorn


Dakterras? Wo, bitte, ist die Dakterras? Ganz oben, klar. In einem Wirrwarr von Treppenauf- und Abgängen, inmitten vieler vieler vieler schwitzender und trinkender und essender und tanzender und pfeifender und wippender Menschen, offenbart sich das, was auf den ersten Blick wie ein Nebenausgang aussieht, als Tor zum Himmel. Unterschätzt, ja: völlig unterschätzt hatte ich, dass die Wege im Nederlands Congress Centrum lang sind und der Wechsel von einem zum anderen Konzert nicht mal eben in fünf Minuten zu machen ist, selbst wenn man ein Schnell-Geher ist wie ich.
Also verzichte ich schweren Herzens auf ein paar Takte der Afro Cuban All Stars und ebenso auf ein paar Töne von Herrn Callier, jetzt wiegt mein Herz allerdings Tonnen.
Die Dakterras ist bestuhlt, Gott sei Dank! Ich sitze. Ich schwitze. Ich sitze schwitzend in der zweiten Reihe und habe besten Blick auf die Bühne, auf der das ungewöhnlichste Set steht, das ich je sah. Statt Sabian & Sonor schlägt Matthew Herberts Schlagzeuger gleich Perrier & Castrol. Und links neben Herrn Herberts Reich gibt’s zwei Kochplatten, Töpfe, Pfannen, Tisch, Stühle und jede Menge Obst & Gemüse. „Nee, is klar, is ja auch Matthew Herbert“, denke ich mir.
Und obwohl ich den Eindruck habe, vom ersten bis zum letzten Moment, da er auf der Bühne ist, dass Herr Herbert heute nicht sonderlich gut drauf ist, macht es sehr viel Spaß, ihm beim Musik machen zu zusehen. Und nur darum geht es: Der Sound bei einem Festival kann nur schlecht sein, dazu gibt’s zu viel Geräuschkulisse rundherum, zu viele Menschen, die kommen, gehen, rascheln, tratschen, zu viel Trubel an den Snack- und Drink-Ständen, die es allüberall gibt. Zuzusehen, wie Herbert und seine Band Musik machen, zuzusehen, woher die Töne kommen, die mich auf Platte so sehr begeistern, das ist es, was ich will. Ich bin befriedigt, vollständig.
Ach – das Gekoche auf der Bühne hätte man sich in der Tat sparen können, verkohlter Toast riecht widerlich. Dieses kleine Nebenschauspiel hätte ich allenfalls amüsant gefunden, wäre es durch Herberts überaus attraktive und charmante Freundin Dani Siciliano präsentiert worden. Die moppelige Riesen-Blondine mit dem antiquierten Bob samt ihrer ungeschmeidigen Bewegungen passte einfach nichts ins Bild. Pardon.
Dass Frau Murphys Auftritt drei Etagen tiefer stattfindet, ist allerdings ein hübsches (Sinn-)Bild. Der Paul Acket Paviljoen ist viermal so groß wie die Dakterras und schon randvoll mit Menschen. Steh-Plätze gibt’s nur ganz außen, hinten, also irgendwo da, wo ein Mensch mit 170 Zentimetern Körpergröße allenfalls dann was sieht, wenn er hohe Schuhe trägt. Hohe Schuhe? Ich? Auf dem Festival der vielen Wege? Niemals. Sprich: Fünf Minuten Stehplatz, letzte Reihe, dampfendes schwarzes Zeltdach über mir, müffelnde wippende Männer links, rechts, vor mir, zwei Takte der wundervollen Stimme von Frau Murphy im Wechsel mit dem „Ich will ein Bier“-Dialog zweier Herren und einigen Beats der Jazz-Combo, die genau nebenan gerade einsetzt. Schlecht hören + nix sehen = weg hier!
Nächster Programmpunkt: Candy Dulfer Band with spezial guest Sheila E.
Weia! Eine dreiviertel Stunde lang ertrage ich Frau Dulfers Gedudel um dann vor dem mit 6000 schwitzenden Menschen überfüllten Saal bei Frischluft & Makrelenbrötchen via Großbildschirm einen Blick auf Frau E.s "Hau-drauf-und-Schluß!" zu erhaschen. Ich gestehe: Schlagzeuger sind mir viel lieber als Schlagzeugerinnen, ich habe schon nach dem Herbie Hancock Konzert böse böse böse über Terri Lyne Carrington geschimpft (und über Herrn Hancock, aber das ist eine andere Geschichte …).
Die Damen Dulfer & E. blasen und schlagen mit wippenden Tüddel-Röckchen den längst verblassten Prince-Beat und ich, ich wippe weiter …
zu: John Zorn & Acoustic Masada. Ja! Männer aus New York die Musik machen, das kann nicht schief gehen. Und wieder: Dakterras – ja! Ein Drummer, der mitten im schönsten Tempo seinen Stick verliert und mit einem Lachen den nächsten hervorzaubert, um ohne jeden Rhythmus-Verlust weiter die Snare zu bearbeiten – jaa! Ein Trompeter, der Till Brönner das Fürchten lehren könnte (verzeihen Sie, Herr Brönner, ich mag Ihre Musik eigentlich gern, aber auf Ihrem letzte Album, da sind Sie mir doch deutlich zu sehr zum soften Jazz-Vocalisten mutiert. Holen Sie sich mal lieber wieder die Boomish-Jungs ins Boot. Nix für Ungut). Und schließlich: der pure Zorn am Saxophon, John Zorn. Jaaa!
Statt Maceo Parker (Welcher Saal? Wo? Wieso? Jetzt? Och …), der ja sehr tourfreudig ist und den ich mir sicher irgendwann einmal ansehen werde, gibt’s einen wunderhübschen Ausklang mit der Charly Parker Legacy-Band, basement – bebop – passt – perfekt.

Freitag, 1. Juli 2005

Böse Jungs



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Er liebte Peter Greenaway, Kafka, Aha, Caspar-David Friedrich, Zarathustra, er trank rohe Eier, aß dazu Schinkenbrot mit Nutella, er liebte die Nacht und den alten Citroen seines Vaters, der in einem Schuppen voller Spinnen und Mäusen vor sich hinstaubte, die wunderbare Hydraulik leistete uns ab und an gute Dienste. Und ich, ich liebte ihn, zwei Jahre lang. Lies mich von ihm zeichnen, malen, fotografieren, saß viele Stunden lang Modell für eine Tonskulptur, die mir nicht im Entferntesten ähnelte und die er zertrümmerte, als wir uns zum ersten Mal stritten. Ich verteidigte seine Seltsamkeiten vor seiner Mutter, seinen Brüdern, schaute mit ihm wieder und wieder „Der Kontrakt des Zeichners“. Weil wir voneinander nicht lassen konnten, blieben wir ein weiteres Jahr zusammen. Ein Jahr, in dem wir verschwitzt und erschöpft einander in den Armen lagen und uns immer wieder bestätigten, mit Worten, dass wir uns ganz sicher nicht mehr lieben.
Und jetzt, jetzt kommt The Bad Plus. Nicht dass ich das Album „Give“ gerade erst gekauft hätte. Intensiver gehört vielleicht, gestern, auf einer längeren Autofahrt. So laut es nur ging. Sehr laut. „Velouria“, immer wieder (ja, es ist eine Coverversion von The Pixies’ Velouria). Das erste Bild in meinem Kopf war Greenaways Kontrakt des Zeichners, das zweite Kafkas Verwandlung, das dritte Herr Jähzorn. Herr Jähzorn und ich mit 15, 16, 17 Jahren. Herr Jähzorn, den ich liebte, weil keiner seiner Gedanken gerade war und nichts von dem was er tat, logisch, sehr selten nur hatten seine Gedanken, Worte und Taten etwas miteinander zu tun. Herr Jähzorn, der so wundervolle Talente hatte, der alles konnte außer leben, und der sich selbst jeden Weg versperrte, der auch nur den Hauch eines Ziels erahnen ließ.
Die Herren Anderson, Iverson und King (ein King an den Drums - yeah!) scheinen Ziele auf ähnliche Weise zu verdammen, wenngleich sie das nicht annähernd so verbissen tun wie einst Herr Jähzorn. Verbissen? Himmel, nein, sie spielen drauf los, spielen überraschende schöne Cover-Versionen, zum Beispiel von Ornette Coleman, Abba, Nirvana, Blondie. Sie spielen Jazz so ungehemmt in alle Richtungen wie ich es nur von Medeski, Martin, Wood kenne. Sie spielen laut und schnell und präzise, erinnern mich an das Esbjörn Svensson Trio, vor allem dann, wenn Herr Iverson am Klavier den Ton angibt. Bei JazzThing habe ich den Satz gelesen „Toll, ein Jazz-Trio, das so drauflospoltern kann wie eine Punk-Combo!“ – oh ja, drauflospoltern, das trifft es. Drauflospoltern trifft es ganz besonders bei Abbas „Knowing Me, Knowing You“, dem hidden track auf „Give“. Spätestens bei diesem Stück sind sie weg, alle Gedanken an meine rohe Eier trinkende erste große Liebe.
Heute: „Give“ nur als Tonspur, in Dauerschleife das schönste Stück der drei Herren, Marke Eigenbau: „And Here We Test Our Powers Of Observation“. Dazu schrieben The Bad Plus im Booklet „We see what we want so see. This is only a test.“. Genau das.

Mittwoch, 22. Juni 2005

Liebeserklärung an Herrn Möbus

moebus

Ich mag Sie, Herr Möbus, sehr sogar! Ich denke nahezu jeden Tag an Sie, immer wieder begegnet mir etwas, das mich an Sie erinnert. Begegnet bin ich Ihnen allerdings noch nie, noch nie persönlich. Schade irgendwie. Ich weiß, Sie würden mir gefallen, sehr sogar. Ich habe eine vage und doch sehr präzise Vorstellung davon, wie Sie Ihr Instrument halten, wie Sie damit umgehen, es bedienen, mehr noch: wie Sie wirken, live und in voller Größe, Sie und Ihre Gitarre.
Am allerliebsten mag ich Sie mit Herrn Black und Herrn Bica, und zusammen mit den Herren vom Roten Bereich (gleichsam mit Herrn Schröder & Herrn Mahall wie auch mit Herrn Steidle & Herrn Mahall).
Warum ich Sie so sehr mag, Herr Möbus? Ich mag Sie, weil Sie seltsam sind. Ich wiederhole mich, in diesem Fall gern: ich mag seltsames.
Und nicht zuletzt deswegen: Der Rote Bereich ist es, der dieser Rubrik den Namen gab, der in meinem Hirn für jene rote Zone steht, die mir Sekundenglück beschert, immer wieder. Die rote Zone eines Pegelmessers, der Verzerrungen anzeigt, Verzerrungen, die Musik in meinen Ohren spannend macht, anders macht, schräg macht, seltsam macht (seltsam – so bezeichnen Sie Ihre Musik selbst, gell?). Der rote Bereich ist auch der Bereich, den ich in meinem Wagen mag, dann wenn ich mal wieder ein klitzekleines bisschen zu schnell zu viel Gas gebe und meine Hand am Schaltknüppel alles andere als schnell ist oder wenn ich ausreize, was der Wagen hergibt, bevor ihm die Puste ausgeht.
„Love Me Tender“ höre ich gerade und freue mich über Ihr grandioses Spiel beim Titelstück des Albums. Und dann, dann freue ich mich über die hübschen Namen, die Ihre Stücke tragen: „50.000 kleine Wichtigtuer“, „Wer kommt mehr vom Sozialamt“ und „Short romantic schoolgirl song“ und die ihren Namen alle Ehre machen – auch dafür mag ich Sie, Herr Möbus.

Freitag, 17. Juni 2005

Tüftler? Töfte!

herbertrockit


Ich höre Zwölf von iRoy (danke, Herr Schoenswetter) und erinnere mich an ein wundervolles Konzert vor gut vier Jahren im Heidelberger Karlstorbahnhof: Matthew Herbert steht auf der Bühne, zerbricht Glasflaschen, beißt in einen Apfel, scharrt auf dem Boden mit seinen Füßen, er sampelt. Dann setzt sein Schlagzeuger ein … sieben Stücke später kocht der kleine Saal und Herr Herbert lässt sich nicht lange bitten, eine Zugabe zu geben. Eine Zugabe? Neun sind’s exakt - sieben Stücke hat er wohlgemerkt zuvor gespielt. Herr Herbert ziert sich nicht, er kokettiert nicht, er macht. Und deswegen mag ich Herrn Herbert so.
Und hier und heute mag ich ihn ganz besonders in seiner Rolle als Doctor Rockit: the unnecessary history of doctor rockit.
(Bester Einstieg in die Platte ist für mich das dritte Stück: "High-Speed Rockit", in meinen Gedanken zücke ich schon Kraftwerk: Tour de France).

Mittwoch, 15. Juni 2005

Zufall und Zusammenhang

piacura

Gestern: Carlos Gardel. Heute: Astor Piazzolla „Persecuta & Biyuya“. Tango, Tango Nuevo nennt man diese Musik. Ich nenne sie Atemlos-Musik. „Movimiento Continuo“ , „Verano Del `79“, „Chin Chin“ und „Escualo“ sind wundervolle Stücke, der Schwarz-Weiß-Film meines Kopfkinos dazu spielt in Bodego Bay. Um Vögel geht es allerdings nicht, nein. Um Blut sehr wohl, Piazzollas Musik wäre erste Wahl in meinem ganz persönlichen Splatter-Film.
Und dann: José Cura: Anhelo - immer wieder Piazzollas „Adiós Nonino“. Atemlos-Musik, die Zweite.
Schön ist, wie ich mich von Platte zu Platte hangele und immer wieder Zusammenhänge entdecke, kleine, große. Zum Beispiel, dass Gardel und Piazzolla sich kannten, Piazzolla angeblich Gardel auf der Flugreise, bei der Gardel ums Leben kam, hätte begleiten sollen. Zum Beispiel, dass die Art, wie Oscar Lopez Ruiz beim Stück „Chin Chin“ die E-Gitarre spielt, mich an Dan Berglunds verzerrten Bass erinnert, genauso wie die gesamte Interpretation dieses Stückes mich immer wieder an E.S.T. denken lässt. Zum Beispiel, dass nicht nur Herr Cura „Adiós Nonino“ in Atemlos-Musik verwandelt, sondern auch Lalo Schiffrin. Und der wiederum, der wird der nächste sein, der sich heute auf meinem Plattenteller dreht (ich wünschte, so wär’s. Es ist leider nur ein CD-Spieler).

Freitag, 10. Juni 2005

hit by hint

hafenkran

Jonathan James ist Anfang 20, lebt irgendwo im tiefsten Sussex und nennt sich hint. Ich staune: Anfang 20 ist er, der Herr James? Ich höre wieder und wieder hint: portakabin fever und komme aus dem Staunen nicht heraus. Ich staune nicht mehr nur ob des Alters, sondern vielmehr über das, was sich da in mein Trommelfell brennt: Wunderschöne, weil verspulte, niemals überladene und von Stück zu Stück immer wieder überraschende Musik, die man sicherlich nicht nur wegen seiner Labelzugehörigkeit – Ninja Tune, was sonst? – in die Ecke Electronica stellen würde. Eine schlichte bassline, perfekt platzierte Streich-Orchester-Samples – perfekt, weil meilenweit von Kitsch und Kuschelkram entfernt – und einen überaus lässigen drum-beat zur eingängigen Trompeten-Mini-Melodie gibt’s bei „re:percussions“. Und dann, ganz spektakulär unspektakulär „aaaaa-aaaaa-aaaaa“-t sich eine elfengleiche Stimme mit einer wunderschön eingängigen Gitarren- und Harfenmelodie bei „quite spectacular“ in meine Hirnwindungen. Und Herr James, der lehrt mich mit diesem Stück gleich noch einmal, dass die Elemente Harfe, Elfenstimme, Streicher als Worte, gesprochen und oder geschrieben, zwar den Satz „Die Olle braucht wohl gleich ne Familienpackung Papiertaschentücher“ provozieren mögen, in Schallwellen umgewandelt jedoch nur eines bewirken: Abgrundtiefe Entspannung. Und Tagträumerei: In den Wagen steigen, Herrn James an Bord, Ziel: Leuchtturm, Hafenkran oder Rettungsboot. Entscheiden mag ich mich nicht. Heute nicht. Repeat.

blogistin

Fantasie, Fiktion, Fraktales

Ich will ...

 

War was?

Dankeschön, Ich suche...
Dankeschön, Ich suche noch den Feudel.
blogistin - 6. Dezember, 09:12
Hui, das waren fast 288...
Hui, das waren fast 288 Wochen. Welcome back!! Und...
NeonWilderness - 6. Dezember, 00:27
Huch!
Nach ein paar Wochen Urlaub nach Hause kommen, keiner...
blogistin - 6. Dezember, 00:14
oha
oha
blogistin - 30. Mai, 15:37
… achach, ebenso, herz&gut. Wir...
… achach, ebenso, herz&gut. Wir sehn uns :-*
blogistin - 30. Mai, 15:36
baba
baba
boomerang - 30. Mai, 15:07
Ach, Du liebe herzensgute...
Ach, Du liebe herzensgute Frau...ich drück' Dich! :-*
Budenzauberin - 30. Mai, 14:58
au revoir
merci an die Knallgrauen für die hübsche Nische im...
blogistin - 30. Mai, 14:42
danke.
danke.
blogistin - 28. März, 18:25
Sekundenglueck 1:56
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blogistin - 14. März, 13:20

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