… To Miss New Orleans“ singt Harry Connick, Jr. Krame nach alten Fotos, krame nach Daten, nach Bildern, die ich vielleicht doch irgendwann einmal gescannt habe. So sehr wie heute habe ich sie noch nie vermisst, meine Erinnerungen auf Fotopapier. Denke „Heul doch“ und nehme mir fest vor, beim nächsten Besuch bei Mama endlich eine Kiste herauszusuchen und mitzunehmen oder nienienie wieder über diesen Umstand meines Lebens traurig zu sein. Erinnere mich an Charmaine Neville, die „Live at Bourbon Street Music Club“-CD hatte sie so schnell signiert und an Reggie Houston zum Unterschreiben weitergegeben, dass ich nicht „Stopp“ rufen konnte, ich mag Autogramme nicht, verstehe nicht den Sinn einer Unterschrift auf irgendeinem Foto oder dem Booklet einer CD oder einem T-Shirt oder gar dem Körperteil eines Menschen. Erinnere mich an Charmaine Neville, die singt, die schwitzt, draußen, irgendwo inmitten eines Festivals in New Orleans. Charmaine Neville, die mir die CD nun, da alle Musiker der Band unterschrieben hatten, von der Bühne hinunter reicht, mich anlächelt, mir alle Zähne in ihrem großen Mund zeigt, Charmaine, die mir in die Augen schaut, fest, freundlich, „Thank you“ sagt sie, die sich über den jungen Mann neben mir freut, der auch eine CD kaufen möchte und – schwupps – wieder signiert sie das Booklet und reicht es weiter.
Erinnere mich an Blue Lu Barker, an die dicken Gläser ihrer Brille, die so groß ist, dass sie ein Drittel von Frau Barkers Gesicht überdeckt. Erinnere mich an Blue Lu Barker, die "The Georgia Grind" knurrt, knurrt wie nur ein Mann knurren kann, die ihre Hüften so völlig undamenhaft in einem glitzernden und schimmernden und bestickten Kleid immer wieder im Takt gegen den Ständer des Mikrofons stößt.
Können Trompeten schwimmen? Bekommt ein Piano Fieber? Haben zertrümmerte Posaunen Töne? lese ich. Finde zwei meiner Fotos, zwei Scans zweier Fotos von 1996, erinnere mich an die Schwüle, die schwere, stinkende Schwüle im French Quarter, an den dicken, großen Mann mit den traurigen Augen, an die fröhliche Musik, die er spielt, die ich nur ein paar Takte lang hören kann, schon ist er weitergegangen, tiefe, dumpfe Schläge auf einer Bass-Drum höre ich jetzt. Wünsche mir einen Milchkaffee mit Zichorie, wünsche mir fettige Beignets, so dick mit Puderzucker bestäubt, dass das Wort „bestäubt“ wie eine unglaublich große Lüge klingt.
Draußen zieht sich der Himmel zu, der erste Tag in Grau-Blau in dieser Woche. „Ja“, denke ich, „Heavenly“ singt Herr Connick Jr., ich würge ihn ab. Lege „Oranj Symphonette Plays Mancini“ ein, das sechste Stück ist es, „Moon River“ vom wundervollen Johnny Mercer. Matt Brubeck lässt das Cello weinen, Ralph Carney haucht ins Horn, Joe Gore zupft Saiten zwischen zwei Noten als wären Akkorde eine fürchterlich ansteckende Krankheit, die Becken klirren, immer wieder drängt sich das Klagelied des Cellos in die erste Reihe. Lauter, noch ein wenig lauter. Die Töne, die Zwischentöne, die Nuancen, das leise Weinen, das Wimmern, all das ist nur hörbar, wenn die Anlage sehr laut aufgedreht ist, ich aufhöre zu tippen. Nach drei Minuten bläst das Horn auf zur Ironie des Lebens, wechselt Matt Brubeck zum meckernden Bass. Das Stück passt nicht mehr, nicht hier, nicht heute.
„Unter günstigsten Bedingungen wird es drei Wochen dauern, bis das Wasser aus der Stadt gepumpt ist.“ schnappe ich irgendwo auf. Vielleicht, vielleicht passt es dann.
blogistin - Donnerstag, 1. September 2005, 13:21
Sonne im Gesicht, Kissen unterm Hintern, Eis im Bauch, Elfen auf dem Rock, Ben Sidrans "Concert for Garcia Lorca" im Ohr, Laptop auf dem Schoß, Wasser in Griffweite, Leere in den Gedanken, Grillwürstchen im Sinn.
blogistin - Mittwoch, 31. August 2005, 16:55
… die große 5, die ganz große. Glückwunsch, Helge!
Ich schüttel heut mein Haar für dich und spiel den ganzen Tag “Take five”. Yeah!
PS: Das Bild habe ich von deiner Hom-Page geklaut. Da stand “Runterladen” drüber. Viel lieber hätte ich allerdings das Bild runtergeladen, auf dem du ein Eis isst. Da stand aber nix drüber, nur Home daneben. Getraut hab ich mich darum nicht. Egal. Man kann nicht alles haben oder so. Schönen Tag noch!
Noch ein Pssst: Zwischendrin leg ich dann doch mal was anderes auf: Charly Antolini: "drum beat".
blogistin - Dienstag, 30. August 2005, 11:14
Ich sitz daheim
alleim
und weim.
Pumuckl meint: Weimen ist, wenn man nicht nach außen, sondern nach innen weint.
(aus “Dreißigsiebenzehn echte Pumuckl Dichter-Gedichte” von Ellis Kaut. Das Herz zerreißendste Koboldweinen gab’s in "Meister Eder und sein Pumuckl: 'Der große Krach'")
Danke,
Herr Clarin.
blogistin - Montag, 29. August 2005, 11:06
Ich ziehe die Vorhänge zu, zum ersten Mal seit Tagen, das Sonnenlicht dringt durchs weiße Leinen, das dünne weiße Leinen, das die Sonne ihrer grellen Kraft beraubt, das die Bewegungen der Luft, das Tippeln meiner Zehen auf zehn, fünfzehn Quadratzentimetern des Fußbodens neben meinem Stuhl mit kaum merklichem Schwingen quittiert. Louis Armstrong knurrt und schnarrt, sein Takt ist mein Takt „…sittin on a rainbow… life’s a beautiful thing as long as I hold the string …“, Louis singt nicht „wonderful“ wie Herr Sinatra in einer anderen Version dieses Stücks, „beautiful“ singt er. Mag die Frühstücksfriedlichkeit, morgens im Büro, eine Kanne Tee, ein Glas Milch, ein Honigbrot, ich liebe Honigbrot, den Gedanken der Schönheit des Lebens, der Schönheit des Augenblicks, vor dem leeren Schreibtisch zu sitzen, ein paar Zeilen aufzuschnappen hier, ein paar Zeilen dort, die Süddeutsche titelt auf dem Magazin Nr. 34 „Hallo Hollywood“ und widmet zwei Drittel des Heftes Clint Eastwood, die Autos, die für gewöhnlich an meinem Fenster vorbeirasen, scheinen heute zu schleichen. Mag den Augenblick, bevor ich mich auf Pflichten einlasse, ich zögere ihn gerne hinaus, diesen Augenblick, das Honigknäcke ist schon ein Weilchen nur eine Krümelspur auf einem Teller, noch eine Tasse Tee, ein bißchen den Dialogen zwischen Armstrong und Garcia über jenen "false start" lauschen, noch einen Augenblick bitte, „I’ve got the world on a string.“
blogistin - Freitag, 26. August 2005, 09:20
Mail von Marc Cary, der auf seiner Homepage seine Solo Polo Tour 2005 anpreist, leider ohne Termine, er beantwortet meine Nachfrage mit: "soon thank you but i don't know when. Peace marc cary." Peace, das geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Aufreibende Musik, ein wilder Pianist, Peace.
480 km, Richtung Maultaschen- und Brezelland, vorbei an Köln, just in dem Moment, da der Papst landet, Auf- und Abfahrten werden gesperrt, das Phänomen der stehenden Selbstbeweger werde ich nie verstehen. Rückenwind, dennoch.
Ankommen, ausladen, Wasser ins Gesicht, eine Tasse Kaffee mit Mama, gleich wieder weiter.
Fünfzehn Minuten in einem meiner Lieblingsgeschäfte. Einen klassischen, camelfarbenen Trenchcoat wollte ich schon immer haben. Ein klein wenig zu groß ist er. Ich mag Dinge, die mir zu groß sind.
Ankommen, zum zweiten Mal. Meine Freundin drückt mich fest an sich, ein viertel Jahr haben wir uns nicht gesehen. Ihr Make-up ziert mein T-Shirt. Wir drängen uns durch viele Menschen, Wein trinkende Menschen, blondierte, blonde, dunkelhaarige Frauen, Frauen mit selbst getönten Haaren in der fürchterlichen Farbe ‚Dunkle Kirsche’, Frauen mit hautengen Tops mit Glitzerträgerchen und Paillettenmustern, Männern mit modischen alles-was-noch-da-ist-kämme-ich-mir-tief-ins-Gesicht-Haarschnitten, Männer mit auffälligen Armbanduhren, Frauen auf hochhackigen Schuhen, Männer, die balzen und trinken und trinken und zwinkern, Frauen, die den Kopf in den Nacken werfen und mit Haarsträhnen spielen und mit Wimpern klimpern. Da stehen wir, trinken rosafarbenes Wasser mit Weingeschmack und lachen. Tragen bequeme Hosen, noch bequemere Schuhe und lachen. Nein, auf einen Mann hat sie gerade keine Lust. Nicht wenn der Preis ist, sich in ein viel zu enges, unbequemes Leben zwängen zu müssen. XS hat auch ihr noch nie gepasst.
Freitagmorgen, ich finde den Weg ohne auf eine Karte zu sehen, fahre einen kleinen Umweg, grün, grün, weit, wie früher. Ich bin pünktlich, D. öffnet die Tür just in dem Moment da ich klingele. Wir umarmen uns kurz, eineinhalb Jahre ist es her. Eine kurze Umarmung nur, nicht mehr. Wir sind nicht Arme und festhalten und drücken, wir sind einander Ohr, ganz Ohr, immer. Mal D., mal ich. Heute ich. „Himmel, du hast so unglaublich viel zu erzählen. Hört dir niemand zu, dort oben?“ Nein. Doch. Nächstes Thema, bitte. Wege, Umwege, Leidensfähigkeit, Hören und Zuhören, Schreiben, Ruhe, Fuß fassen, Hineinwachsen, Wurzeln, 3600 Sekunden Glück. D. schenkt mir soviel, zum Abschied schenkt sie mir eine kleine Pflanze aus ihrem Garten. „Vergiss nicht, sie braucht viel Pflege, so wie du. Mal sehen, wer von euch beiden schneller Wurzeln schlägt dort oben.“
Jason Marz, Rosin Murphy, James Blunt, Stuart Staples, Matthew Herbert, Forss, wir werfen die Namen hin und her, tauschen Musikstücke, essen Käsekuchen ohne Boden, vergleichen die PS-Zahlen unserer Autos, er erzählt mir von seinen meinen alten Freunden, seiner meiner alten Familie, vom Urlaub nächsten Monat, von allem, was es nicht mehr gibt in der Stadt und allem, was neu ist, wäscht mir die Haare, schneidet sie, ich föhne selbst „das kannst du eh besser“, er stellt mir eines seiner Wunderprodukte hin ‚Superstar Queen for a Day’, „Was macht das mit meinen Haaren?“ frage ich, die alte Dame neben mir lacht, ich warte, bis er wieder Zeit hat zum Reden, er zeigt mir sein neues Wakeboard, seine Wunden vom Unfall mit dem alten Brett, erzählt von einem fantastischen Muffin-Rezept, „Sagst du eigentlich auch manchmal noch ‚meine Frau’ wenn du von mir erzählst?“ frage ich, „Nein.“ sagt er und lacht, schließlich würden mich hier ja alle kennen, die Nennung meines Namens würde genügen. Stimmt, so einfach ist das, denke ich, lege eine seiner „da musst du garantiert heulen“-CDs ein, fahre weiter.
Spät geworden ist es, viel zu spät, habe keine Lust mehr auf schnellschnell und mehr Menschen. Durchatmen. Pause, für mich, drei Stunden nur, duschen, umziehen.
Und dann, dann kommt er. Und ich kann endlich endlich ein klein wenig Vergangenheit teilen. Mit meiner Zukunft.
Peace.
blogistin - Montag, 22. August 2005, 11:38
"So What" ist eine einfache Figur, die auf 16 Takten in einer Skala, 8 in einer anderen und noch einmal 8 in der ersten beruht und an eine Einleitung durch Klavier und Baß in freiem rhythmischem Stil anschließt.
(aus Bill Evans Text für die Plattenhülle)
Lächeln.
Gedanken verlieren.
Weiter machen.
So What.
blogistin - Dienstag, 16. August 2005, 08:26
loslassen
kaffee, kaffee
kühl, glatt, leder
schnitzeljagd
geräusche ohne kulisse
ich mag das wort meditation nicht, nicht im neueren sprachgebrauch. der alte scheint vergessen.
marc cary: rhodes ahead
weit. weg.
käpt’n blaubärs schmatzinsel
hirnstreich
knäckebrot, knacken im kopf
das tieferrutschen der gürtellinie als spiegel der gesellschaft
oder: rocksäume sind auch nicht mehr das was sie mal waren
lackschuh-romantik
the herbaliser: remedies
rietveld, lautner
wortgewalt
weißer lavendel
zeitzeugin, nicht aufgerufen
blogistin - Freitag, 12. August 2005, 11:30