Eines Tages, irgendwann


Und während die Tränen in meinen Tee tropfen, während das farblose Augenwasser, dem in kitschigen Billig-Romanen der Geschmack von kostbarem Salz angedichtet wird, Geschmack, den ich vielleicht nicht mehr wahrnehme, weil meine Geschmacksnerven im zähen Einheitsbrei meiner Gefühle untergegangen sind, die braunrote Brühe des bitteren Tees verdünnt, Tropfen um Tropfen, der Takt immer schneller, während die Tränen rinnen und laufen und unangenehm brennende Spuren auf der Haut meiner Wangen und meines Kinns hinterlassen, während draußen die Autos im immer gleichen Rauschen der regennassen Straße an meinem Fenster vorbeirasen, viel zu schnell, viel zu laut, viel zu viele, während ich zu meinem CD-Spieler schaue und an Musik denke, einen Moment meine Sammlung gedanklich durchgehe und ihn sogleich wieder verwerfe, diesen Gedanken, ihn verachte, Musik, wie soll Musik etwas bewegen, mich bewegen, mich, während ich denke und nicht denke, fühle und nicht fühle, weine und nicht weine, trinke und nicht trinke, während ich versuche, einen Anfang zu finden für das, was ich tun muss, indem ich etwas tue, von dessen Sinnlosigkeit ich überzeugt bin, die einzige Überzeugung, die ich vielleicht noch habe, jetzt, in diesem Moment, während mir die Karten fürs Brad Mehldau-Konzert einfallen, die in meinem kleinen Glücks-Kästchen liegen, dort, zwischen anderen Konzertkarten und kleinen Erinnerungen, die Karten, die ich am liebsten verschenken möchte, verschenken an einen Menschen, der Freude empfinden kann, der das Gefühl der Lust kennt, Lust, etwas zu tun, etwas zu erleben, so wie ich einst Lust auf Leben und Alltag und all die kleinen und größeren und großen Dinge und auf einfach sein und einfach sein hatte, während ich für einen Sekundenbruchteil spüre, wie es wieder pocht, mein Herz pocht, weil vielleicht noch ein Funke des Glaubens an das bodenständige, pragmatische „Wird schon wieder!“, existiert, irgendwo, ein klitzekleiner Funke nur, während ich lächeln muss zwischen Tränen und dumpfer Unlust, während ich, die ich gestern keine Zukunft sah, Zukunft als etwas, das es zu gestalten gilt, als etwas, das geschieht, etwas auf das ich mich freue, etwas, das bewegt und bewegt wird, während mich da an der Stelle der Zukunft ein großes, graues, undefiniertes Nichts aus Lustlosigkeit und Desinteresse wie ein Ungeheuer mit hängenden Mundwinkeln anglotzt, sehe ich für einen Augenblick wieder Zukunft, mich, Koffer packend und die Reise in ein neues Leben antretend, lachend, lachend, so vieles ist mir schon gelungen, wenngleich mir hier, jetzt, heute noch nichts gelungen ist, ich in dieser meiner Gegenwart, dieser meiner neuen Heimat längst nicht angekommen bin, mich selbst zurückwerfe und zurückgeworfen werde, und während das Ungeheuer mit den hängenden Mundwinkeln schon wieder glotzt und den Augenblick in die Enge treibt, ihn auffrisst, während ich auf meinen Monitor starre und Sätze bilde, immer mehr Sätze, endlos, nicht aufhöre, schreibe, schreibe, das Schreiben wird den Tränenfluss stoppen, bitte, bitte, während ich starre und denke und schreibe, da fällt mir ein Märchen ein:

Es war einmal ein glückliches Mädchen


Vielleicht ist dieses Märchen der Beginn vom Ende, der Beginn vom Ende des Glaubens ans Glück, des Glaubens an das Glück, das in allem steckt, in vielen kleinen Dingen, im ersten Marienkäfer an einem sonnigen Februartag, im Alltag, in den Dingen, die das tägliche Leben ausmachen, in Musik, in der Liebe.
Vielleicht ist es aber auch nur ein Märchen von einem Mädchen, das irgendwann der Mut verlassen hat und die Kraft und der Glaube an die Kraft und die Liebe und der Glaube an die Liebe und das Vertrauen und der Glaube an das Vertrauen.
Vielleicht ist es aber auch ein Märchen von einem Mädchen, das ihr Glück verlor und ihr Lachen und ihre Freude und alles wieder geschenkt bekommt, eines Tages, irgendwann, ihr Glück, ihr Lachen und ihre Freude. Eines Tages, irgendwann.


nicht pan tau - 20. Februar, 13:36

Das Leben ist wie das Wetter. Immer. Auf Sonne folgt Regen und umgekehrt. Darauf können Sie sich verlassen. Ich finde das inzwischen sehr tröstlich. Eigentlich wollte ich Ihnen (eine zumindest selbstgeknipste) Sonnenblume schicken, klappte hier aber nicht.
Einen Soundtrack für solche Zeiten: Branford Marsalis (z.B. The Dark Keys oder Requiem) bzw. Kenny Garrett (z.B trio logy). Sehr laut.

blogistin - 20. Februar, 15:23

ja. sie haben recht.

ich danke ihnen, sehr, für die virtuelle sonnenblume (hat mein postfach sie etwa nicht durchgelassen?)
und: ja, vielleicht sollte ich es doch mit musik versuchen.
nicht pan tau - 20. Februar, 15:58

im 2ten versuch hoffentlich doch. :-)
blogistin - 21. Februar, 14:44

oh ja!
:D
saintphalle - 20. Februar, 16:58

Dieser Text drückt stellenweise exakt meine eigenen momentanen Gedanken und Gefühle aus - obwohl sie vermutlich aus einer völlig anderen Situation heraus entstanden sind als deine. Und doch ist mir diese Verzweiflung und dieses Ringen wohl bekannt. Allerdings habe ich meinen Glauben an das Märchen vom großen Glück trotz aller Verzweiflung bis heute nicht aufgegeben. Irgendwann, eines Tages wird alles wieder gut. Ganz sicher.

blogistin - 21. Februar, 15:08

meinen glauben an das märchen vom großen glück habe ich nicht aufgegeben, nein. es ist vielmehr so, dass ich mittendrin lebe.
und doch: es ist genauso wie du schreibst: ein ringen und eine verzweiflung. beide worte treffen es auf den punkt. das ringen steht für das doch-immer-weiter-machen, fürs wissen ob der existenz von glück, glück in klitzekleinem und im großen und dem augenblicklichen, alles dominierenden "und es tut trotzdem weh gerade!" (wofür auch immer das stehen mag, oft dinge die man selbst nicht beeinflussen kann).
und verzweiflung, was ist verzweiflung? kein aufgeben, nein, keinesfalls, nicht für mich. verzweiflung drückt letztlich eine anhäufung von zweifeln aus, die sicherlich alles andere als gesund ist. das ausbrechen aus der engen schlinge der zweifel scheint bisweilen unmöglich.
ich suche noch, nach dem aus-schalter für meinen kopf.

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