Bewundert, immer. Sehr.
Ich mag Stoff. Um zu sehen, wie er fällt, rolle ich immer ein paar Meter von der Bahn, dehne das Szenario künstlich hinaus, wenn ich merke, dass die Verkäuferinnen im Stoffgeschäft mich grimmig beobachten, weil sie so gar keine Vorstellung davon haben, was der Sinn meines Tuns sein könnte. Mag Stoffe, die echt sind, mag Leinen, mag Baumwolle, Schurwolle, Kaschmir, Wollfilz, mag Seide (da fällt mir ein: Seide ist eines jener Wörter, die Ende der 80er, Anfang der 90er gnadenlos missbraucht wurden, sogar heute noch zeigen sich bisweilen seidige Restspuren in einschlägigen Szene-Gefilden, jene Gefilde, in denen zwischen Eiche-Rustikal-3-Sitzer-Garnitur und Seidenlaken ordentlich das
SchamTanzbein geswingt wird … aber das ist eine andere Geschichte …). Und weil ich diese Leidenschaft schon lange pflege, gehören zu den Dachboden-Schätzen, die noch bei meiner Mama weilen, neben einigen hundert Büchern auch einige Dutzend Stoffe.
Wann meine Leidenschaft begann? Ha! Das weiß ich genau, freilich, nicht nach Datum, aber den auslösenden Moment, den werde ich nie vergessen, schließlich prägte er mich und bescherte mir eine weitere Leidenschaft, eine, die man heutzutage mit dem Schimpfwort Hobby tituliert: Die Schneiderei.
Den halben Meter Leinen, weißes Leinen, reines Leinen, schweres Leinen, den ich mit zehn, elf Jahren im Schrank meiner Mutter fand, durfte ich nicht mit der Nähmaschine verarbeiten, so sehr ich auch bettelte, es hieß ich wäre zu klein (Lüge1: Ich war damals das größte Mädchen in der Klasse) und die Maschine zu schnell (Lüge 2: Das olle Ding brauchte eine Minute für zehn Zentimeter). Also nähte ich von Hand. Ein T-Shirt diente mir als Schnittvorlage, das Ergebnis hatte allerdings eher etwas von einem Sack, der zufälligerweise Löcher an den richtigen Stellen aufwies und daher als Kleidungsstück zweckentfremdet wurde, denn von einem selbst geschneiderten Etwas, auf das man auch nur ansatzweise hätte stolz sein können.
„Kauf dir eine Burda!“ sagte meine Mutter, trocken wie sie nun mal ist (und dafür, nicht nur dafür, liebe ich sie). Ich tat's, lernte das Lesen der Schnittmuster, lernte, wie man mit Seidenpapier, Schneiderkreide und Stecknadeln umgeht. Lernte, warum Stoffe eine Richtung haben, was ihre rechte und ihre linke Seite bedeutet und vor allem: wie man richtig bügelt, weil ohne bügeln, so las ich irgendwo in einem vergilbten Buch aus den 60er Jahren, kann man das Nähen auch gleich sein lassen.
Ich nähte und nähte und nähte, irgendwann endlich, endlich, als meine Eltern begriffen hatten, dass ich es ernst meinte und sie mir ein ordentliches Maschinchen kauften, an meiner eigenen Nähmaschine. Jacken, Hosen, Röcke, Kleider, Blusen, T-Shirts, Mäntel, ich glaube, als ich 15 oder 16 war, gab es bis auf Unterwäsche und Jeanshosen kein einziges Kleidungsstück in meinem Schrank, das nicht selbst genäht war. Ich nähte für mich, für Freunde, für ein Kindertheater, für zwei Bräute, für den Aenne Burda Preis.
Schneiderin wollte ich werden, eine ganz große, irgendwo in einem der Pariser Ateliers. Bis mich eine jener Damen, die ich so bewunderte, weil sie es in diesem Beruf geschafft hatten, mit diesen oder ähnlichen Worten ernüchterte: „Ganz groß im Sinne von namentlich bekannt werden nur wenige, aber die Industrie, die hat Bedarf an guten Leuten, wenngleich es davon auch viele gibt.“ Direktrice, beispielsweise bei Betty Barcley? Horror! Also schneiderte ich weiter, für mich, für Freunde, weniger wurde es mit der Zeit, weil es eben an jener mangelte, mehr und mehr, nach und nach.
Auch heute kann ich nicht an einem besonders schönen Stoff vorbeigehen, ohne wenigstens drei, vier Meter mit nach Hause zu tragen (zuletzt kaufte ich einen camelfarbenen Seidensatin mit der festen Absicht, ein Abendkleid zu nähen, bei der Absicht blieb’s. Zuletzt genäht habe ich, so mich die Erinnerung nicht trügt, eine Leinen-Pyama-Hose für einen Herrn, den ich sehr verehre, doch weil da die Passform noch ein wenig korrigiert werden muss und Schiesser offenbar sehr bequeme Hosen fertig, ist jene Hose das allererste Kleidungsstück, das ich für jemanden nähte und das nie getragen wurde.)
Die Freude, die Lust am Schneidern, an Stoffen bleibt. Immer.
Und nichts, nichts, beruhigt mehr die Wogen eines sich schwindelig denkenden Hirns als: Handwerk.